Kybalion

Noch nie sah ich die Amsel
Im frühen Maienmorgenlicht
So zart und voller Inbrunst singen.
Mir ward’s, als würd’ es mir
In abertausend Ohren mit abertausend Herzen klingen,
Als wüchsen meiner Seele ungeahnte Schwingen,
Die mich in kaum erspürte Sphären führten.

Wo sich auf’s Mal mit Macht des Himmels Tore öffnen,
Die scheinbar nur verschlossen schienen,
Als wir noch gänzlich unbegabt, gedankenlos und herzlos waren,
Dabei durch blinden Trieb im Lieben und im Hoffen
In all den Jahren bloß blind und taub, weil unbedarft und unerfahren.

Und eines war’s und bin ich’s immer noch
Weil alles singt und schwebt und lebt –
Ein sanfter Wind, der flüsternd durch die Ahornblätter weht
Und mich in seinen Armen wiegt, im Duft der Rosenbüsche
Und in der Amsel wunderbaren Morgenlied.

Rolf Wolfgang Krauss